Kinder und Jugendliche sind heutzutage vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, insbesondere durch die digitale Welt. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf ihre Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung. In sexualpädagogischen Projekten in der Erprobungsstufe (Klasse 5/6) wird dieser Aspekt in den Fokus genommen. Wie können Mädchen und Jungen in dieser schwierigen Lebensphase in ihrer individuellen Entwicklung begleitet und unterstützt werden?
Im Übergang von der Kindheit zur Jugend und schließlich ins Erwachsenenalter – dem Coming of Age – fragen sich viele Heranwachsende: Wer bin ich? Wie will ich sein? Wie sehen mich die anderen? Bin ich okay? In Zeiten von „Germanys next Topmodel“ und „Trash-TV“ ist es schwer, sich seiner selbst bewusst zu werden, geschweige denn, ein „Standing“ zu entwickeln – geeignete Vorbilder fehlen zumeist.
Bereits zum Ende der Grundschulzeit sind insbesondere Mädchen bezüglich ihres Aussehens und ihrer Wirkung auf andere einem großen Druck ausgesetzt. Dabei wirken Trends aus Asien, laut denen die perfekte Taille nicht breiter als die schmale Seite eines DIN A4 Blattes sein darf, zusätzlich negativ auf das labile Selbstwertgefühl der Pubertierenden. Der Blick von außen diktiert das Körpergefühl, Selfies bei jeder Gelegenheit bedienen diesen Zwang obendrein. Das mediale Diktat zur Selbstdarstellung im sozialen Netz wird dabei regelrecht zur „Fleischbeschau“. Jugendschutzorganisationen und Präventionsfachkräfte der Kriminalpolizei schlagen Alarm, weil immer mehr junge Mädchen freizügige Bilder von sich per WhatsApp oder auf Instagram veröffentlichen und in unangenehme Situationen geraten können, bis hin zur Erpressung und/ oder zu sexuellen Übergriffen.
Den Jungen geht es nur scheinbar besser. Spätestens mit 13/14 Jahren steigt der Druck, nun endlich „männlich“ zu werden und Muskeln aufzubauen, notfalls durch Hilfsmittel unterstützt, etwa mit Eiweißprodukten oder Wachstumshormonen. Das ist nicht minder gesundheitsschädlich, als sich auf Kleidergröße „Zero“ runter zu hungern! Man will dazu gehören, nicht aus der Rolle fallen, der Peergroup entsprechen.
So oder so – Heranwachsende brauchen in dieser herausfordernden Lebensphase Menschen an ihrer Seite, die sie adäquat unterstützen und realistisch spiegeln können. Im besten Falle sind dies die eigenen Eltern. Leider ist dies nicht die Regel. Besonders in sozial schwachen Stadtteilen ist sehr auffällig, dass die Mädchen und Jungen ziemlich orientierungslos und überfordert sind. Dagegen in der „Bürgerlichen Mitte“ ist der zunehmende Druck deutlich spürbar. Leistung, Perfektionismus, Schnelligkeit und Mobilität sind hier die Erwartungen, denen sich die Heranwachsenden ausgesetzt sehen.
Was bewirken in dieser Phase sexualpädagogische Projekte? Wir holen die Mädchen und Jungen altersgerecht da ab, wo sie augenblicklich stehen. Wir erfragen ihre Ängste, Sorgen und Wünsche und hinterfragen unrealistische Bilder. Wir entlasten und informieren über Wahrheit und Scheinwelt, decken Fallstricke auf und geben Sicherheit. Bezüglich Werten, Normen und Einstellungen bieten wir eine Reibungsfläche. Wir besetzen realistische Körperbilder positiv und unterstützen eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Körperbild sowie der persönlichen Identität.
Gleichzeitig bringen wir die Heranwachsenden untereinander in Austausch, ermöglichen kritische Auseinandersetzung auf Augenhöhe in fairer Art und Weise. Dabei unterstützen wir eine achtsame Kommunikation und eine angemessene Streitkultur. Dies alles fördert das Persönlichkeitslernen sowie die Identitätsstärkung und befähigt Heranwachsende zu einem verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst und mit anderen. Mit unseren Angeboten wollen wir dazu beitragen, die psychosoziale sowie die psychosexuelle Identitätsentwicklung von Mädchen und Jungen positiv zu begleiten und zu unterstützen.
Anja Barsch
Sexualpädagogin