Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch
Laut Allensbacher Institut sind etwa 1,5 Mio. Menschen in Deutschland vorübergehend oder permanent von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen. Wir Beraterinnen werden in den letzten Jahren zunehmend mit dieser Problematik konfrontiert. Deshalb beschloss unser Vorstand, dieses Thema als besonderes Beratungsangebot in unseren Aufgabenkatalog aufzunehmen.
Ich hatte die Gelegenheit, mich in einer drei mal dreitägigen Weiterbildung intensiv mit dem Thema zu befassen. Diese Weiterbildung, die mit einer Zertifizierung einhergeht, wird vom Bundesnetzwerk Kinderwunschberatung in Deutschland (BKiD) mit Sitz in Heidelberg angeboten.
Unfruchtbarkeit ist keine Krankheit. Und doch fühlen sich manche Frauen und Männer krank, weil sie das scheinbar Natürlichste auf der Welt nicht schaffen, nämlich ein Kind zu zeugen. Je länger eine Frau mit dem Kinderkriegen wartet, umso geringer wird ihre Chance schwanger zu werden. Das Durchschnittsalter der Erstgebärenden ist von 24,9 Jahren im Jahre 1977 auf über 34 Jahre heute gestiegen. Viele Frauen glauben, dass ihre Fruchtbarkeit erst mit 40 Jahren abnimmt. Dass sie sich aber bereits ab dem 25. Lebensjahr verringert, wissen nur die wenigsten. Es ist daher mit einer Zunahme ungewollter Kinderlosigkeit zu rechnen.
Ungewollte Kinderlosigkeit kann einen Menschen in eine komplexe psychosoziale Krise bringen - mit vielfältigen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Umso wichtiger ist es, dass die psychosoziale Kinderwunschberatung als unbedingter Teil eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes betrachtet wird, um frühzeitig und umfassend den vielschichtigen Bedürfnissen dieser Paare gerecht zu werden.
Denn in der Kinderwunschberatung ist nicht nur der medizinische Anteil vorrangig zu betrachten. Es hat sich in der Vergangenheit bewährt, Paare mit unerfülltem Kinderwunsch am besten schon vor oder während der medizinischen Behandlung in die psychosoziale Beratung zu integrieren.
Gerade wegen der Komplexität der Thematik erfordert psychosoziale Kinderwunschberatung eine sehr hohe Professionalität. Die Ratsuchenden müssen über alle den Kinderwunsch betreffenden Aspekte ausführlich informiert und aufgeklärt werden: die medizinischen / reproduktionsmedizinischen, die juristischen, die psychologischen, die psychosozialen und, nicht zu vergessen, die finanziellen Aspekte.
Kinderlosigkeit ist für viele Paare ein sehr problematisches Thema, nicht zuletzt für die eigene Beziehung. Nicht nur wegen des Gefühls der eigenen Unzulänglichkeit, sondern auch, weil oftmals ein hoher Druck aus den Reihen der Familien ausgeübt wird.
Eine besondere Herausforderung liegt in der Beratung von Frauen und Paaren ausländischer Herkunft. Sie kommen nicht selten aus kulturellen Zusammenhängen, in denen Kinderlosigkeit für die Frage der Ehre und des Ansehens ein Problem darstellt.
Neben der oft sprachlichen Barriere, die einen Dolmetscher erfordert, liegt ein Teil der Schwierigkeiten darin, dass wir viel zu wenig voneinander wissen. Es gilt daher, Wissenslücken zu füllen, entlastende Informationen und einen größeren Überblick zu bekommen, was in anderen Kulturkreisen in der Kinderwunschbehandlung erlaubt und was nicht erlaubt ist.
Der Kinderwunsch ist in den verschiedensten Formen und in den unterschiedlichsten Lebenskonstellationen vorhanden. Familien sind vielfältiger geworden in Deutschland. Neue Familienbilder und neue Lebenswirklichkeiten sind gewachsen und sind nebeneinander alle gleich gültig.
So kann es sich um das verheiratete oder nicht verheiratete Paar handeln, hetero- wie homosexuell, genauso wie um die alleinstehende Frau, die im vorgerückten Alter ihre Chance auf ein eigenes Kind schwinden sieht.
Beratung von Frauen und Paaren mit einem unerfüllten Kinderwunsch ist immer eine sehr sensible Angelegenheit. Sie muss Raum schaffen für einen partnerschaftlichen und ergebnisoffenen Dialog. Sie soll ebenfalls Raum sein, wo Verletzungen und zerrissene Gefühle ihren Platz haben. Beratung soll informieren, vor allem aber ermutigen, in der Zerrissenheit der Gefühle den Weg zu sich selbst nicht zu verlieren bzw. ihn wiederzufinden, um aus einer Fremdbestimmung wieder in die Selbstbestimmung zu finden. Sie soll zu einer verantwortlichen Entscheidung der Frau/des Paares ermutigen.
Beratung orientiert sich nicht an den Schwächen und Defiziten, sondern an Ressourcen, die oftmals nicht mehr wahrgenommen werden und die es zu entdecken gilt. Deshalb ist es unerlässlich, schon im ersten Beratungsgespräch den Blick auf neue Perspektiven auch außerhalb des Kinderwunsches zu lenken: Plan B, C oder D, denn die Erfolgsquote ist nicht garantiert und auch nicht sehr hoch. Welche Projekte kann es auch noch geben statt des Wunsches nach einem eigenen Kind?
Für mich ist in der Beratung immer das Wichtigste, allen Menschen mit dem größten Respekt und der höchsten Wertschätzung zu begegnen. Frauen/Männer und Paare sollen sich bei uns in der Beratung angenommen fühlen. Und dazu wollen wir bei donum vitae immer wieder beitragen.
Claudia Kitte-Fall
Beraterin