Wie hätten Sie entschieden?

Wie hätten Sie entschieden?Frau A. ist schon in der 11. Schwangerschaftswoche. Der Kindesvater drängt sie zum Schwangerschaftsabbruch, sie hat einen 10jährigen Sohn, der an ADHS leidet und eine 2jährige Tochter. Beide zieht sie allein groß. Der Sohn kommt jetzt in die weiterführende Schule, das macht ihr große Angst und sie fragt sich, wie er und die ganze Familie diese Veränderung verkraften. Sie arbeitet Vollzeit und ist in einer Ausbildung. Sie ist eigentlich eine ganz starke und mutige Frau, aber gerade total verunsichert und verängstigt. Sie ist schon 42 Jahre alt und hat deshalb auch Angst vor einer Behinderung des Kindes.

Frau B. kommt mit ihrem 'Partner', der gerade mehr oder weniger halbherzig dabei ist, die Beziehung zu beenden. Frau B. ist in der 7. Woche eigentlich gewollt schwanger, aber nun traut sie es sich nicht zu, ihr Kind ohne eine verlässliche Beziehung zum Kindesvater großzuziehen. Sie ist psychisch krank, hat kaum feste Strukturen im Alltag, ernährt sich nicht regelmäßig und gesund, kann sich schlecht konzentrieren, fällt oft in depressive Stimmungen, ist nicht in der Lage - wenn überhaupt - mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten usw. Sie traut es sich nicht zu, ein Kind ganz alleine großzuziehen.

Der Kindesvater ist selbst psychisch krank, auch er leidet unter Depressionen und er fühlt sich ebenfalls mit dem Gedanken an ein Kind überfordert. Für ihn wäre die Abtreibung 'einfacher'. Sie wünscht sich die Rückkehr zu einer liebenden und verlässlichen Paarbeziehung, die er ihr aber verweigert.

Es gibt keinerlei familiäre Unterstützung von ihrer Seite, und seine Familie lebt gar nicht in Deutschland.

Frau C. ist 33 Jahre alt, sie hat eine 9jährige Tochter und sie lebt mit dem Vater des Kindes zusammen. Jetzt ist sie wieder ganz am Anfang einer Schwangerschaft. Sie sagt, sie stehe endlich kurz vor Abschluss ihres Studiums, das wegen der Tochter schon 14 Semester dauert. Sie hat schon eine feste Anstellung in Aussicht, und das wäre ihre allererste Stelle überhaupt. Das will sie auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen. Der Kindesvater, so sagt sie unter Tränen, wolle das Kind unter gar keinen Umständen. Seit ein paar Tagen weiß sie von der Schwangerschaft und eigentlich sei für sie der Abbruch der Schwangerschaft entschieden gewesen. Aber mit jedem Tag wird ihr mehr klar, dass es hier um ein Kind, ihr Kind geht, und es fällt ihr jeden Tag schwerer, an eine Abtreibung zu denken. Am meisten wünscht sie sich, dass der Partner zu ihr stehen und ihr seine Unterstützung anbieten würde. Aber sie wünscht sich auch nichts sehnlicher als das Verständnis ihrer Familie, für die sie schon lange eine Versagerin ist, weil sie schon so jung Mutter geworden ist und es bis heute noch zu nichts gebracht hat.

Frau D. ist in der 7. Woche schwanger. Sie kommt aus einem anderen Kulturkreis. Ihr deutscher Mann ist vor 10 Jahren gestorben. Sie ist 46 Jahre alt lebt mit ihrem 25jährigen Sohn und ihrer 2jährigen Tochter allein. Der Kindesvater der Zweijährigen und des Ungeborenen hat sich ins Ausland abgesetzt und ist nicht auffindbar. Sie wäre also alleine mit den Kindern. Große Sorgen macht sie sich wegen ihrer Diabetes und ihrer HIV Erkrankung, sie muss jeden Tag viele Medikamente nehmen.

Daher traut sie es sich nicht zu, noch ein weiteres Kind großzuziehen. Sie ist sehr unglücklich und hat Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte, und dann wären ihre Kinder hier allein.

Dies sind nur einige Beispiele von vielen Beratungsgesprächen aus dem vergangenen Jahr, die noch in großer Zahl von mir und den Kolleginnen erweitert werden könnten.

Wie hätten SIE entschieden, wenn SIE eine dieser Frauen gewesen wären?

Schwangerschaftskonfliktberatung bedeutet für uns, sich für das Leben einzusetzen, und zwar für das Leben der Mutter, des Paares, der Familie wie auch für das Leben des ungeborenen Kindes. Es geht darum, das Leben von Frauen und Familien zu verbessern und Mut zu machen für neues Leben. Nur, wenn das Leben der Mutter geschützt und sicher ist, kann diese auch das Leben ihres Kindes schützen. Beratung dient immer dazu, die Entscheidungsfreiheit der Frau bedingungslos zu respektieren und ihre Entscheidungskompetenz zu stärken.

Oft kann dies erfolgen, indem eine bedrängende Blickverengung der Frau aufgebrochen wird, wodurch sich ein Spektrum neuer Lösungsmöglichkeiten auftun kann.

 

Claudia Kitte-Fall


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