Sensibilisierung für eine interkulturelle Annäherung

Schwanger und fremd – Erfahrungen aus der Beratungsarbeit

Täglich treffen wir mit Menschen aus anderen Kulturen zusammen. Es ist also notwendig, sich immer wieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

 Kultur ist ein für eine Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typisches und unverzichtbares Orientierungssystem. Sie beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder. Kultur umfasst Verhalten, Aussehen, kulturspezifisches Wissen, Gegenstände und eine ganz eigene Art, die Welt wahrzunehmen und zu bewerten.

Wie mag es wohl Menschen ergehen, die sich entschließen, in einem anderen Kulturkreis leben zu wollen oder zu müssen, weil der eigene Kulturkreis ihr Überleben nicht mehr sichert oder das eigene Leben/die Gesundheit sogar in Gefahr sind. Oder weil ihr eigener Kulturkreis ihnen plötzlich nicht mehr ausreichende Orientierungshilfen gibt.

 

Schwangere Frauen sind in solchen Situationen vielfältigen Ängsten ausgesetzt. Sie sind extrem belastet. Sie sind nicht mehr in ihr vertrautes Familiensystem eingebunden, das sie schützt, entlastet und trägt. Und es ist unsere vorrangige Aufgabe, gerade schwangeren Flüchtlingsfrauen in dieser extrem schwierigen Umbruchphase ihres Lebens verlässlich zur Seite zu stehen. Diese Menschen kennen aus ihrem Heimatland solche Beratungsangebote nicht. Es gibt möglicherweise große Vorbehalte, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen.

Zu Beginn des Jahres 2017 wurde gerade von schwangeren Flüchtlingsfrauen oft in unseren Gesprächen beklagt, dass der Zustand in den Flüchtlingsunterkünften für sie unerträglich sei. Es gebe so gut wie keine Privatsphäre. Da sei die Angst vor sexuellen Übergriffen. Und es gebe sie tatsächlich, solche Übergriffe. Mittlerweile hat sich die Wohnsituation für Flüchtlinge allerdings gebessert.

 Vor allem aber ist da immer die bange Frage: Werde ich in diesem Land bleiben können oder schickt man mich wieder zurück nach Syrien, Afghanistan oder in den Irak?

 Gegen diese Riesenangst und Verzweiflung müssen sie täglich ankämpfen. Gleichzeitig ist da auch eine große Trauer um den Verlust der Heimat, das Zurücklassen der Familie, der Eltern und Geschwister, vielleicht sogar eines Kindes. Viele dieser Menschen stürzen hier in eine tiefe Identitätskrise. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sie noch den Kontakt zu ihren Landsleuten haben, hier und in der Heimat, zu den Menschen und zu der Kultur, die ihnen bisher Orientierungshilfe gaben.

 Es bedarf ganz großer Achtsamkeit und Behutsamkeit im Umgang mit diesen Menschen. Wir möchten ihnen manchmal zu schnell unsere Regeln ‚beibringen‘. Wie oft hört man den Spruch: Die leben ja jetzt schließlich hier, dann müssen sie auch unsere Regeln lernen und einhalten. Oder auch: Sie haben nichts zu essen, aber jeder läuft mit einem Smartphone herum. Ich sage dazu: Ja, das ist auch gut so, weil es die schnellste und beste Möglichkeit ist, den Kontakt zur Familie zu halten, und Gott sei Dank ist das alles heute auch bezahlbar geworden. Natürlich müssen Gesetze und Regeln eingehalten werden, aber die muss man erst mal kennen lernen.

Wir nehmen uns viel Zeit in der Beratung, versuchen zu erklären und Verständnis zu zeigen und zu wecken. Geduld und ein großes Wohlwollen im Umgang mit den Flüchtlingen sind notwendig, erst recht bei einer Schwangerschaft.

Ich erlebe schwangere Frauen zutiefst verunsichert hinsichtlich all der notwendigen Wege und Schritte, die sie hier in Deutschland gehen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Immer wieder Papiere ausfüllen, Termine bei den Behörden machen und auch pünktlich einhalten, Briefe z. B. vom Jobcenter überhaupt erst mal inhaltlich und in der Konsequenz auch zu verstehen.

Uns Beraterinnen ist es daher enorm wichtig, das Vertrauen der KlientInnen zu gewinnen, indem wir verlässliche Aussagen machen und konkret, unbürokratisch und schnell Hilfen leisten.

In der Beratung sollen sie sich mit ihren Ängsten ernst genommen und verstanden fühlen.

 Es braucht ganz viel Zeit, bis das Gefühl der Fremdheit und Unsicherheit einem Gefühl der Vertrautheit weicht. Es braucht genügend Zeit für die Anpassung, das Verstehen dieser neuen Welt, in der sie jetzt leben. Es braucht Akzeptanz unsererseits, Toleranz dem Fremden gegenüber, ganz besonders aber braucht es eine Neugier, ein offenes und ehrliches Interesse an dem Gegenüber. Nur indem man sich besser kennen lernt, können Gräben überwunden und Brücken gebaut werden.

Claudia Kitte-Fall

- Beraterin -

 

 


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